O tempora, o mores!

Das Sonntagsinterview in der Kleinen mit mit Carlo Galli, einem italienischen Politologen, ehemaliger Abgeordneter im Parlament für die PSD Italien, hat ein neues, vielbeachtetes Buch geschrieben, „Sovranitá“.

Fazit: Früher war alles besser.

Stefan Winkler hat wieder einmal jemanden ausfindig gemacht, den er uns als kundigen Weltuntergangspropheten vorführen kann. Zu beklagen: Kaputte Infrastruktur in Europa und jeden Samstag Bürgerkrieg in Frankreich. Ach, hätten wir´s doch so schön ruhig und geordnet wie in Nordkorea! Wie Christoph und Lollo schon singen: Man muss ja nicht ständig herumdiskutieren.

Unsere Mainstream-Eliten verspotten die Souveränität. Word, Signor Galli! Ja, unsere Staatsmänner scheren sich einen Dreck darum, dass wir die Entscheidungs- und Gewissensfreiheit des Individuums – und erst damit die Möglichkeit für Solidarität und Menschenrechte, Demokratie und Gleichbehandlung blutig durch Jahrhunderte erkämpft haben. Es geht nicht darum, politische Konzepte in Europa zu verhandeln, sondern es geht heute in erster Linie darum, möglichst viel Kohle zu machen, rasch noch, bevor Schluss ist mit der erdölverarbeitenden Industrie – was wir alle vermutlich nicht erleben werden und unsere Kinder auch nicht.

Was soll der Eiertanz um die Souveränität? Unser Kanzler stellt die Rechtsstaatlichkeit im öffentlich rechtlichen Rundfunk in Frage und lädt darauf hin zu einem runden Tisch, um ein Problem zu erörtern, dass es ohne seine Anwürfe gar nicht gegeben hätte. Alle spielen mit. Europa war auf der internationalen Bühne nie präsenter. Dank Greta (hier in Davos: Minute 2 bis 10; sehr hörenswert!!) und weltpolitischen Vermittlungseinsätzen, natürlich gibt es Sachen wie in Thüringen oder den Brexit, aber 70 Jahre ohne Krieg. Das ist kein Dreck, möchte ich meinen. Und wie ging das vor sich? In dem man sich für die Rechte der Bürgerinnen und Bürger stark machte. Auch das Streikrecht. Power to the people! Noi non siamo Galli, ma siamo galline!

Unsere eigenes Leben als allgemein verbindliche Form des Alltäglichen anzusehen und dabei mit der eigenen Existenz gar nichts anzufangen wissen, als einkommensoptimiert zu konsumieren, zu kritisieren, zu intrigieren, das ist eine seltsame Art des europäischen Lebensgefühls, die sich hier breit gemacht hat.

You can´t always get what you want – haben schon die Stones gekreischt. But you can try, try, and try. In letzter Zeit habe ich laute Bücher von Menschen gelesen, die einen Ausweg aus ihrem eigenen Leben suchten, aus einem Leben, mit dem sie nicht anfangen konnten, das zu groß und zu unhandlich für sie war. An die erinnert mich Herr Galli heute mit seinem Interview. An die verkrachten Existenzen bei Ivo Andric, an einen vollkommen einsamkeitsverwahrlosten Frankfurter Bobo, dessen Leben Wilhelm Genazino in der Abschaffel-Trilogie beschreibt, an die masochistisch-obsessive Selbstzerstörerin von Leila Slimani, dem Prix Goncourt von 2016. Vielleicht sollte Herr Galli lieber seine Memoiren schreiben, als über Europa reden. Das ist momentan en vogue, auch der alte Tarantino, damit meine ich den neuen Film von Tarantino: Once upon a time in Hollywood, casht mit dieser Masche ab.

Als hätten alle alten weißen Männer weltweit nichts weiter zu beklagen, als den Sitten- und Werteverfall. Come stop your crying, um es mit Tarzan bzw Phil Collins zu sagen und jene ins Boot zu holen, die Pathos brauchen. Dennoch der Blues will nicht enden.

Das Gejammer der alten Säcke, wobei sie auf ihre Atomsprengköpfe schielen und den angehäuften Wohlstand, ist so ungustiös. Sie leben von der oftmals geduldeten Missachtung der Rechte, der ihnen Untergeben, sie behandeln ihre Frauen wie Vieh, sie geben vor, um gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu kämpfen und beuten die Gutwilligen, die ihnen zuerst glauben und letztlich ins Netz gegangen sind aus. Und dann kommen sie mit ihrem großen Katzenjammer, weil das andere Bubi jetzt eine größere Pistole hat. Nur mehr Frankreich hat in Europa Nuklearsprengköpfe – und jetzt, wo England austritt, werden wir wohl alle Französisch lernen müssen?

So nähern wir uns der eigentlichen Frage: Was haben wir eigentlich gelernt in den letzten Jahrzehnten, in denen wir das europäische Bildungswesen weiterentwickeln und Mehrsprachigkeit zur gelebten Kultur werden lassen wollten? Das Leben in der Komfortzone hat uns alle eingelullt. Wie Greta es sagt: Empty words. Alles nur Gerede. Schaukampf. Heiße Luft ein Sonntagsinterview halt.

O tempora, o mores!

1 Comment

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  1. obwohl ich mich hin und wieder auch zu den “alten säcken” zähle, weil ich ungeduldig bin und die notwendige zeit für die entwicklungs-prozesse oft zu lang finde, bin ich doch auch davon überzeugt, dass wir um diese notwendigen diskursprozesse nicht herumkommen. dabei ist es vielleicht eher das los der “alten Männer und Frauen”, die vorwärts schreitende jugend immer wieder einzubremsen und sich für eine reflexion der Prozesse zeit zu nehmen. was ich jedoch mit großer sorge wahrnehme ist, dass nun auch die jugend in der gesellschaft die prozesse negiert und einfach drauflos maschiert, oft sogar mehr zurück als vorwärts.

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