Zwei Drittel meiner Kur sind vorüber. Jetzt durchbeißen! Nur nicht den Kurerfolg gefährden! Allein ich bin meines Glückes Schmiedin. Ich versuche den unterschiedlichen Lebensrealitäten der Kurgäste Rechnung zu tragen, weil ich unter keinen Umständen Anschluss suche.

Die Ehrgeizigen: Sie haben sich genau überlegt, warum sie kuren. Das mit der ärztlichen Leitung zu Beginn des Kurintervalls vereinbarte Ziel nehmen sie ins Visier und arbeiten hart. In der dritten Woche entweder nicht mehr ganz so verbissen oder beflissener als zuvor, ist ihnen ein Kurerfolg sicher. Vinceremos! lautet ihre Devise. Als Heimkehrende werden sie gefeiert.

Die Flüchtenden: Sie wollen ihrem Alltag entfliehen. Ihre gesundheitlichen Probleme gipfeln in einem speziellen Bereich. Der Zielort ihrer Kursehnsucht ist auf ihr Gebrechen spezialisiert. Dort wollten sie schon lange einmal hin. Der Wirbelsäule tut es gut und die Umgebung ist genau das, was man sich für einen schönen, dreiwöchigen Zusatzurlaub wünscht. Was die Flüchtenden bei ihrem Aufbruch nicht bedacht haben ist, dass man Ungemach nur gegen Ungemach eintauschen kann. Und wie es zu Hause kein Entrinnen gibt, so ist man hier dem Kurerfolg verpflichtet und strebt von Paraphe zu Paraphe.

Die BesserwisserInnen: Sie sind von einem Bildungsauftrag beseelt. Sie denken und handeln sowohl im Sinne der Kuranstalt als auch im Sinne der Kurgäste. Sie führen sozusagen die gesamte Kurwelt einem Sinn zu. Den Kurärzten und –ärztinnen erklären sie, warum sie etwaige Übungen nicht machen oder nicht in dieser Reihenfolge machen können. Den Mitkurenden erläutern sie den Zweck der jeweiligen sensomotorischen Übung, der Trinkkur mit oder ohne Jod, der Reduktionstage und der Zeitpläne. Sie sind nicht nur Organisationstalente, sie trägt der Gedanke der Effizienz.

Die DurchschummlerInnen: Sie nehmen alles zur Kenntnis wie es ist und versuchen möglichst alle Kurgesetze zu brechen. Sie kommen zu allen Anwendungen fünf Minuten zu spät, machen die Übungen nicht zehn sondern nur neun mal. Sie packen sich beim Frühstück die Taschen mit Proviant für den Tag voll, essen zu Mittag zwei Nachtische und in der Freizeit laufen sie in die Konditorei, um guten Kaffee zu genießen, nicht die Kurfilterplitschn, am besten natürlich mit einem Stück Torte und einem Zigarettchen. Trifft man sie beim Sidestep im Cafè oder oder beim Bier im Gasthaus, machen sie zwar betretene Miene, verändern aber keineswegs ihr Verhalten. Wenn die Vorturnerin die Übung erklärt, schwätzen sie weiterhin. Auch wenn sie es gewohnt sind, früh schlafen zu gehen, legen sie es in drei Wochen Kur darauf an, vor Mitternacht niemals ein Auge zuzutun und verkosten in ihren Zimmern Schnaps vom Bauernmarkt, den sie im Kleiderschrank vor der Putzfrau verstecken.

Die Wichtigen: Sie sind die Stars der Kur. Ihnen sollten wir möglichste entgehen. Vom ersten Tag an, wählen sie sich Lieblingsopfer aus, meist nur ein oder zwei. Mit denen verbringen sie jede freie Minute, erzählen von ihren Kindern, Ehen, beruflichen Belastungen, Heldentaten, Krankenhausaufenthalten, von Kuren, die sie schon absolviert haben und von solchen, die sie noch machen werden. Sozialvampire schlechthin.

Wenn man es zwei Kurwochen geschafft hat, ihnen auszuweichen, bleibt man mit etwas Glück auch in der letzten Woche von den Wichtigen verschont. Denn die haben dann schon ihr Gefolge gefunden.