Precht, Liessmann und Konsorten denken medial nach. Frauen natürlich mitgemeint.

„Es wird eine neue Gesellschaft entstehen.“ Das dachten Frauen schon vor mehr als hundert Jahren, als sie das Wahlrecht erkämpften, lieber Herr Precht. Frauen als Konsumentinnen, als Care-Arbeiterinnen, als Reprotuktionsnotwendigkeiten, ok. Aber genannt sollen sie nicht werden, weil sich dann der alte weiße Mann diskriminiert fühlt? Und wodurch fühlt er sich diskriminiert? Dadurch, dass man ihn öffentlich alten, weißen Mann nennt, obwohl er doch PoC ist. Ich traue meinen Augen nicht, wenn ich auf die Doppelseite der Kleinen Zeitung, meiner Kleinen Zeitung, die ich seit 30 Jahren von meinem sauer verdienten Lohn bezahle, blicke. Sie, Herr Precht, sind der Lieblingsautor meines jüngsten Sohnes, der kurz vor der Matura die – Ihrer Ansicht nach berechtigte Frage stellt: Ist meine Mutter eine Menschin? Ihr Leben lang kämpft sie haupt- und nebenberuflich, aber auch ehrenamtlich, für Geschlechtergleichstellung, sogar in der Sprache. Darf ich essen, was sie kauft, wenn ich finde, dass sie ihr Geld mit Rassismus verdient?

Jeder Konsument kann Druck ausüben, und das tut er, wenn er Ihre Bücher kauft. Er übt Druck auf mich aus. Finanziellen, emotionalen und politischen. Und meine um Moral bemühte, regionale Tageszeitung druckt das, damit ich ein schönes Sonntagsinterview lesen kann, am Tag des Herrn.

Da blättere ich rasch weiter und gelange zur Doppelseite Kultur. Der hellsichtige Roman: „Der ehemalige Sohn“ ist hier das Thema. Werner Krause schreibt über Sasha Filipenko und der schreibt über Lukaschenko.

Als uns an der Uni über die Macht des Zitierens doziert wurde, dass es darauf ankommt, wer wen wie oft zitiert, war mir nicht auf Anhieb klar, was es bedeutet, wenn Männer vornehmlich Männer in Quellenverzeichnissen nennen. Aber im Laufe meiner Leserinnenkarriere und als 55jährige Teilzeitkraft beginne ich langsam zu verstehen, wie der Hase läuft.

Der Essay der Woche kommt von unser aller Liessmann: „An die Ungebildeten“. Die Sippenhaftung wird beklagt. Dass Männer nun plötzlich schon beim ersten Satz, den sie schreiben, darüber nachdenken sollen, was ihnen alles vorgeworfen werden kann, obwohl das in all den vergangenen Jahrhunderten seit Erfindung des Buchdrucks niemals so war. Ja, werter Herr Liessmann. Das ist allerdings eine Zumutung der besonderen Sorte. Frauen müssen nie über irgendwas nachdenken, sie können schreiben, was sie wollen, denken was sie wollen, machen was sie wollen. Laufhäuser besuchen oder Bürgermeisterinnen werden. Wer muss auch schon darüber nachdenken, was aus dem Kind wird, das man in neun Monaten Schwangerschaft mit sich herumträgt? Lohnt es sich, mit den Verächtern zu kommunizieren, fragt Liessmann. Das vielleicht nicht. Aber es bleibt uns auch nicht erspart.

Die Philosophie als solche liebt vor allem den Gedanken und das Denken und nicht die selbstherrlichen Vordenker.