#Dagg Atomkraftwerk

Das Tagebuch von Daggi Hesch bewegt mich immer wieder aufs Neue.

Die Kraft jedes Einzelnen reicht nur für ein paar Quadratmeter Welt, schreibt Juli Zeh. Und sie zitiert den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, dem gemäß Unordnung sich immer größtmöglich auszubreiten sucht. Ich frage dich, liebes Tagebuch, ist meine Angst vielleicht eine innere Unordnung, die genau diesem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik entspricht, die sich größtmöglich ausbreitet? Sie vermischt sich mit all meinen Gefühlen und Gedanken und lässt mir keinen Raum, den ich in irgendeiner Weise ordnen könnte. Das führt dazu, dass nicht nur mein Garten sondern auch mein Haushalt schön langsam verwildert. Meine Gedanken kommen nicht mehr zur Ruh. Ich sehe die Bilder der Zerstörung und des Krieges, die flüchtenden Frauen und Kinder und ich frage mich, was aus all den Beschwörungen und Lobgesängen auf den Frieden geworden ist, die man in letzter Zeit immer wieder angestimmt hat. So lange hat es in Europa keinen Krieg mehr gegeben, wenn man vom Jugoslawienkrieg absieht. Und nun bombardiert Putin ein Atomkraftwerk, um es wenige Stunden später einzunehmen. Die Welt diskutiert, wie sie kurz zuvor über die Rückkehr der Taliban in Afghanistan diskutiert hat, über Trumps Sturm aufs Kapitol, über das kontinuierliche Ertrinken der Flüchtlinge im Mittelmeer. Was ist uns geblieben, außer über unfassbare Dinge politisch zu debattieren? Mit mir diskutiert niemand. Ich tippe und piepe tagein tagaus an meiner Supermarktkassa, nenne die Summe, die Menschen bezahlen. Wenn ich länger arbeite beklagt sich niemand, wenn ich später komme oder früher nach Hause gehen will, muss ich das genau erklären, als hätte ich gerade ein Atomkraftwerk bombardiert. Da geht es um was. Für mich wird es gefährlich. Das höre ich schon am Ton.

„Alles was wir haben, sind getroffene Entscheidungen.“ schreibt Natasa Kramberger, die Slowenin, die kürzlich im Bildungshaus Retzhof gelesen hat. Aber welche Entscheidungen habe ich schon getroffen? Vielmehr treffen die Entscheidungen anderer mich. Ich bin es, die sich getroffen fühlt. Nicht an den Sätzen hängenbleiben! Das Nicht-mehr-Mitkommen wird mir durch die Lektüre von Juli Zeh manifest. Weitermachen! Weiterleben!

1 Comment

Add yours

  1. danke eva, you made my day, diese tage sind schwer auszuhalten, da hilft es sich wieder einmal seiner „Endlichkeit“ bewußt zu werden.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

code