Du bist eine Heldin!

Die Therapeutin sagt zu mir: Du bist eine Heldin.

Sie sagt nicht: Sei eine Heldin! Sondern sie ist überzeugt davon, dass ich eine Heldin bin.

Was soll schon Heldenhaftes an mir sein? frage ich. Denk nach! Streng dich an! Nimm dein Tagebuch!

Der Schlacht meines Lebens stelle ich mich täglich. Wenn der Wecker läutet, stehe ich auf, auch wenn ich lieber im Bett bleiben möchte. Ich absolviere meine Arbeitszeiten laut Dienstplan. Den Dienstplan schreibe ich nicht. Aber ja, was zu tun ist, das mache ich. In meinem Inneren höre ich die Melodie: Working Class Hero von John Lennon.

Zeit habe ich eigentlich nie, oder gerade eben genug, um das zu erledigen, was getan werden muss. Meine Kinder sind nun erwachsen und meine Topfpflanzen vertrocknen nicht. Ich habe die Zeit mit meinen Eltern durchgestanden. Meine Kindheit. Im Nachhinein betrachtet, im Vergleich mit anderen, naja. Das ist alles sehr lang her. Meine Schulzeit war eigentlich nicht schlecht. Einmal davon abgesehen, dass sie mir nicht viel gebracht hat. Mit Matura und einem fast abgeschlossenen Studium arbeite ich an der Kasse. Es ist besser für mich, nicht zu viel zu wissen. Mit Klugscheißerei macht man sich nur Feinde. Das Leben wird schwieriger, wenn du immer das letzte Wort haben musst. Ich muss nicht.

Ich hätte öfters gern den Job gewechselt. Ab und zu hatte ich richtig große Pläne. Und dann war ich doch immer wieder froh, meinen Arbeitsplatz zu haben. Schließlich braucht man das Geld. Wer nichts hat, kann sich auch nichts erwerben. Es reicht gerade für das tägliche Leben. Auf meinem Konto bin ich nicht oft im Plus. Im Grunde genommen habe ich mir das Leben, das ich jetzt führe, auch erwartet. Ich wollte immer frei sein, mich unabhängig fühlen. Deswegen sitze ich seit dreißig Jahren an der Kasse.

Gestern hat meine Giséle, die mit der Stofftasche, eine Flasche Asti Spumante gekauft, Chips und Oliven. Diesmal keinen billigen Wein. Heute kommt meine Tochter! hat sie mir zugeraunt. Ich könnte schwören, sie hat mir sogar zugezwinkert. Ein feuchtes Blinzeln um ihre faltengesäumten Augen.

Ich sehe sie vor mir, wie sie ihre Wohnung aufräumt. Wie sie die Leerflaschen, die sich angesammelt haben, zum Altglascontainer bringt. Sie putzt und lüftet und macht das Badezimmer sauber, legt ein frisches Handtuch zum Waschbecken. Wenn ihre Tochter kommt, ist der Sekt eingekühlt und die Chips und die Oliven stehen in kleinen Schüsselchen am Tisch. Vielleicht hat sie ein Fotoalbum herausgelegt, um mit der Tochter Kindheitserinnerungen anzusehen. Die Tochter bringt ihr Blumen mit.

Ja. Wir sind Heldinnen! Die Heldinnen des Alltags.